Eine Reise über den Tellerrand

Wenn in einem Schulgebäude an jeder Ecke Langlaufschier stehen und sich die Kinder in der Pause oder für den Heimweg die Langlaufschuhe anziehen, dann ist klar: wir sind jedenfalls in keiner österreichischen Schule. Nein, vor ein paar Wochen bin ich gemeinsam mit NEOS-Klubobfrau Beate Meinl-Reisinger und einer kleinen „NEOS-Delegation“ nach Finnland und Estland gefahren, um vor Ort herauszufinden, was diese beiden Länder im Bildungsbereich anders machen als wir.

Finnland – seit vielen Jahren bei sämtlichen Erhebungen ganz vorne – und Estland, das seinem größeren Nachbarn Finnland 2019 den Rang bei der PISA-Studie abgelaufen hat und international mittlerweile ganz oben mitmischt.

Vertrauen statt Kontrolle

Schon beim Besuch der ersten Schule in Finnland wird klar, dass Vertrauen nicht nur ein schnell daher gesagtes Schlagwort ist, sondern gelebt wird. Vertrauen in die Lehrkräfte statt ständiger Kontrolle ist hier eines der Credos. Lehrer:innen genießen in der Bevölkerung ein hohes Ansehen, Eltern vertrauen auf die Professionalität der Lehrkräfte. Die Pädagog:innen in beiden Ländern haben große Freiheiten, wie sie unterrichten und in welcher Form sie die Inhalte an ihre Schüler: innen weitergeben. Gleichzeitig mit dieser großen didaktischen Freiheit übernehmen sie aber auch eine immense Verantwortung für den Erfolg ihrer Schüler:innen. Lehrer:innen fühlen sich wirksam, weil sie Entscheidungen treffen können. Schulen werden nicht ununterbrochen kontrolliert.

Autonomie statt Zentralismus

„Wir haben keine Ressourcen für Regulierung – der von einem Vertreter des estnischen Bildungsministeriums beiläufig dahingesagte Satz, hat uns sehr verblüfft, weil er zeigt, welche Grundhaltung in beiden Ländern vorherrscht. Rund 90% aller Entscheidungen werden am jeweiligen Schulstandort getroffen, davon können Österreichs Schulen nur träumen. Angefangen vom Unterrichtsbeginn (der je nach Alter unterschiedlich sein kann) über die Dauer der Pausen („Wir halten nichts von Fünf-Minuten-Pausen. Da reicht die Zeit nur auf die Toilette und wieder zurück. Bei uns sind die Pausen mindestens 15 Minuten lang, weil wir auch diese Zeit als Lernzeit betrachten – als wichtiges soziales Lernen miteinander“) bis zu Budgetverantwortung und der Wahl der Unterrichtsmethode wird alles von der Schulleitung bzw. dem Lehrpersonal entschieden.

 

Wissenschaft statt Ideologie

In beiden Ländern wird die Schule als lernendes System verstanden. Kooperationen zwischen Schulstandorten und Universitäten, eine kontinuierliche Erhebung wissenschaftlicher Daten und eine öffentlich einsehbare Bildungsdatenbank in Estland sind selbstverständliche Komponenten eines sich ständig weiterentwickelnden Bildungssystems. Es ermöglicht auch ein rasches Reagieren, dort wo es notwendig ist. Im Gegensatz zu Österreich hat Estland eine klare Bildungsstrategie bis 2035 formuliert, in der wesentliche Ziele und Entwicklungen ausgeschildert werden. Alle bildungspolitischen Entscheidungen auf allen Ebenen leiten sich von dieser Strategie ab. Dazu zählen neben dem Bekenntnis zur Schulautonomie, auch die Weiterentwicklung der Curricula und die pädagogische Nutzung der Digitalisierung. Bei uns wird zwar an verschiedenen kleinen, bildungspolitischen Schrauben gedreht, aber solange wir kein Ziel vor Augen haben, werden wir den richtigen Weg auch nicht finden. Während hierzulande nach wie vor stark ideologisch getrieben Politik gemacht wird, verlassen sich Finnen wie Esten unaufgeregt auf aktuelle, wissenschaftliche Entwicklungen. Der Erfolg gibt ihnen recht. Wird Bildung in Österreich zu einem großen Teil vererbt, gleicht das Bildungssystem sozioökonomische und andere Nachteile in beiden Ländern deutlich besser aus.

 

Die Schüler:innen im Zentrum

Freude am Lernen, selbstständiges Denken, die Begleitung eines jeden Kindes zu einem intelligenten und ausgeglichenen Menschen – das sind nur drei Ziele, die uns bei unseren Schulbesuchen immer wieder begegnet sind. An oberster Stellte steht das Wohlbefinden – wellbeing. In Finnland gibt es ein mehrstufiges Unterstützungssystem für die Schüler:innen. Schulpsycholog:innen, Schulsozialarbeiter:innen und Schoolnurses gehören hier ebenfalls zum Alltag wie Lehrkräfte. Auf meine Frage, wie oft die Schulpsychologin an der Schule ist, kam ein verständnisloser Blick der Direktorin. „Every day. From 8am to 4pm“. Als ich ihr gesagt habe, dass in Österreich ein paar Tausend Schüler:innen auf eine:n Schulpsycholog:in kommen, wandelte sich ihr Blick von verständnislos zu mitleidig. „So, then they can only focus on the hard cases in Austria”, war ihre Antwort. Ja, für die “leichteren” Fälle gibt es bei uns so gut wie keine Unterstützung.

Eine weitere sinnvolle Errungenschaft ist das gemeinsame warme und kostenlose Mittagessen an jeder Schule. In vielen Familien würde nicht mehr jeden Tag frisch gekocht werden, daher übernimmt auch hier die Schule einen wichtigen Beitrag. Eine Schulleiterin hat es folgendermaßen kommentiert: „Nur wer nicht hungrig ist, kann lernen.“ Ein pragmatischer und guter Zugang, wie ich finde.

Den Kindern was zutrauen! Selbstbestimmtes und selbstgesteuertes Lernen sind an der Tagesordnung. Nicht erst in der Oberstufe können Schüler:innen Fächer selbst wählen. Der Stundenplan wechselt teilweise alle sieben Wochen, um Projektunterricht oder längere Einheiten zu ermöglichen. Auch das entscheidet die Schule. Es gibt freie Zeitfenster, für die sich die Schüler:innen Lernziele stecken können. In Estland gibt es an vielen Schulen mittlerweile ab der 1. Schulstufe einen sogenannten „Independent learning day“ – je nach Alter einen Tag pro Woche oder für die Jüngeren pro Monat, an dem die Schüler:innen außerhalb der Schule – zu Hause, bei den Großeltern, gemeinsam mit Schulfreund:innen – Arbeitspakete online bearbeiten. Auf meine Frage, ob das bei Eltern jüngerer Kinder immer gut ankommt, bekam ich folgende Antwort: „Natürlich gibt es Eltern, die diesen Tag nicht wollen, weil ihre Kinder Schwierigkeiten beim selbstständigen Erarbeiten der Lernpakete haben. Ich sage diesen Eltern dann immer, dass wenn ihr Kind in Mathematik noch nicht so weit ist wie andere Kinder, dann hören wir mit Mathematik ja auch nicht auf, sondern versuchen diesem Kind mehr Ressourcen zu geben, damit es sich verbessert oder leichter tut.“

 

Es gibt noch eine Reihe weiterer Aha-Erlebnisse, die wir auf unserer Reise gehabt haben. In meinen nächsten Blogs möchte ich den „Selbstlern-Tag“ näher erklären, auf die vor allem in Estland selbstverständliche Digitalisierung im Bildungsbereich eingehen und schildern, welche Rahmenbedingungen Lehrer:innen vorfinden, um gut unterrichten zu können.

Dass Schulautonomie, Chancengerechtigkeit, Innovation und Digitalisierung keine bildungspolitischen Fremdwörter sind, sondern auch Realität sein können, haben wir in beiden Ländern eindrucksvoll bestätigt bekommen. Während sich Österreich seit Jahrzehnten einem ideologischen Kampf hingibt und das Verbleiben in der Mittelmäßigkeit schon als Erfolg sieht, sind wir NEOS motivierter denn je, Österreich auf den Weg zum Bildungsweltmeister zu bringen. All das, was seit unserer Parteigründung im Programm steht, funktioniert – siehe Finnland und Estland.

Reisen bildet – es würde einigen Entscheidungsträger:innen guttun, über den bildungspolitischen Tellerrand zu schauen und best practice Beispiele in anderen Ländern kennenzulernen. Falls du auch interessante internationale Beispiele hast, lass es mich gerne wissen!

 

Mich interessiert, was dich bewegt!
Was beschäftigt dich?
Schreibe mir gerne, was dich bewegt.
weiter